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Pforzheimer Zeitung, 3. April 2021
Junge Talente an der Jugendmusikschule Neuenbürg: Zwei Lebensgeschichten – ein gemeinsames Schicksal
Neuenbürg. Die Geschichte beginnt mit Unheil. Aber dann wird sie so schön, dass man an ein Schicksal glauben möchte, das für alles Ausgleich und Trost bereit hält. Es ist die Geschichte von zwei jungen Menschen, die aus Syrien und der Ukraine als Fremde in dieses Land kamen. Die in verschiedenen Sprachen redeten und Deutsch nicht verstanden. Die hier die Musik entdeckten und sehr schnell in ihr den Weg zu einer neuen Heimat sahen. Die 18-jährige Ruhew Khalil und der 15-jährige Wladyslaw Prewszynski sind – in der Amtssprache – Migranten, die aus unterschiedlichen Gründen nach Deutschland kamen. Jetzt, nur einige Jahre später, richten sich aufmerksame Blicke aus einer ganz anderen Richtung auf das musikalische Duo. Die beiden überzeugten in der altersgemäßen Kategorie Kunstlied beim Landeswettbewerb von „Jugend musiziert“ eine begeisterte Jury und belegten mit ihrem coronakonform digital eingereichten Auftritt den ersten Platz. Den konnte Wladyslaw Prewszynski gleich noch ein zweites Mal verbuchen: Mit seinem Pop-Solovortrag „e-Bass“ setzte er sich gegen die Konkurrenz durch und wird demnächst beim Bundeswettbewerb antreten.
In Neuenbürgs altem Zentrum ist es still an diesem Nachmittag. Nur aus einer kleinen Gasse, die von der Marktstraße wegführt, klingen leise Klaviertöne wie Reminiszenzen einer verlorenen zeit durch die frühlingshaft warme Luft. Auch drinnen, in den ehemaligen Gerichtsgebäude, das heute die Jugendmusikschule (JMS) beherbergt, ist es um diese Zeit relativ ruhig. Corona ist so etwas wie das Ende der Euphorie. Es ist schwer, neue Schülerinnen und Schüler zu gewinnen, macht JMS-Leiter Christian Knebel den Stop der umfassenden Öffnung aller| Möglichkeiten und die geltenden Grenzen für Gemeinsamkeit und Kommunikation deutlich. Doch Knebel ist kein Mann, der lange bei Negativem verweilt. Hat er doch im Foyer zwei neben sich, die nicht nur bei Ihm für freudige Emotionen sorgen. Da wird Knebel sehr präzise: „Nur alle zehn Jahre hat man mal solche Schüler. Da muss man nicht drängen. Da muss man gar nichts erklären, der Funke springt einfach über.“ Der gleichen Meinung war wohl auch der Musiklehrer am Neuenbürger Gymnasium, der Knebel die jungen Talente ans Herz legte. „Er stellte fest, dass er zwei ziemlich begabte Musiker im Unterricht hatte“, erinnert sich Knebel, bei dem Ruhew und Wladyslaw das Klavierfach belegt haben.
So richtig vorgezeichnet war der Weg zur Musik eigentlich bei beiden nicht. „Ich konnte nicht mal Noten lesen“ - für Ruhew heute ein Grund, sich über sich selbst zu amüsieren. Man sieht es in Ihren Augen aufblitzen, ahnt das Lachen hinter der Coronamaske. „Sie ist sozusagen vom Mars gefallen, was die Musik angeht.“ setzt Knebel noch einen drauf. Ganz so weit weg lag die Musik in der Welt von Wladyslaw dagegen nicht. Der Vater spielte in einer Rockband Gitarre - und trotzdem war nach einem musikalischen Antritt des kleinen Wladyslaw im Kindergarten erst einmal eine große Pause von der Welt der Töne zu verzeichnen, die jetzt mit Klavier, Orgel und E-Bass wieder zu einem Lebensmittelpunkt geworden ist. Rock, Pop oder Klassik? „Es gibt nur gute und schlechte Musik“, lässt Wladyslaw einzig Qualität als Unterscheidung zu. Ruhew dagegen hat sich klar entschieden, ihre Liebe gilt der Klassik. Insbesondere der Barockmusik. Überhaupt ist sie in einer zurückhaltenden Art sehr entschieden, freundlich und wohlerzogen, aber immer auf der Hut und wachsam. „Ich mag Strukturen“, sagt sie plötzlich, „deshalb liebe ich auch Bach mit seiner Intensität und Ordnung“. Das könnte, vermutet sie, vom Krieg kommen, den sie erlebt hat: „Da herrschte das Chaos.“ Heute packt so viel in Ihre ganz eigenen Strukturen, dass der Tag kaum zu reichen scheint für diesen Hunger nach Leben und Lernen.
Es sei so Knebel, ein Experiment gewesen, die jungen Musiker für Jugend musiziert“ zu einem Duo zusammen zu fassen Zumal Ruhews schöne Sopranstimme gerade erst im Schulchor entdeckt wurde und sie mit dem Singen bei Miriam Kurrle begonnen hatte. Das konnte nur gelingen, wenn alles bestens läuft, die beiden sich in dem Projekt wohlfühlten und der hohe Anspruch zielgerichtet angegangen wurde. „.Sie sind sehr fleißig“, hatte Knebel keine Bedenken, ein Programm zusammenzustellen, das stimm- lich sowohl extrem forderte, als ebenso darauf achtete, der jungen Sopranistin einen em,otionalen Zugang zu den Liedern besispielsweise von Gabriel Fauré („Apres un Rêve“) und Carl Loewe („Die Uhr“) zu ermöglichen. Auch an Schuberts „Ave Maria“ wagte sich die Sängerin - „ein schwieriges Stück mit den stimmlichen Längen“ - und beeindruckte mit ihrer klaren Stimmführung und emotionalen Ausgestaltung, sensibel am Klavier begleitet von Wladyslaw Prewszynski
Das Duo, das sich bereits vom Gymnasium her, will konsequent weiter arbeiten und an den Anforderungen wachsen: „Das ist auch ein Stück Hoffnung in der Pandemie und ein Stück Normalität“.
Wenn es um die die Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen geht, ist meist keine eindeutige Position zu formulieren. Anders sieht es bei Ruhew Khalil aus. Sie ist eine von denen, die mit dem großen Flüchtlingsstrom 2015 nach Deutschland kamen. Eine harte Flucht, Verlust der Heimat und Neuanfang in einem fremden Land - sie ist erschöpft und traurig, als sie die Grenze erreicht. Mit Willensstärke und Disziplin aber auch mit der Freude daran, im Frieden angekommen zu sein, hat sie es geschafft, sich hier zuhause fühlen zu können.
16 Tage waren sie zu Fuß und per Zug unterwegs, erzählt sie von ihrer Flucht aus dem syrischen Aleppo ins schwäbische Arnbach. Sie spricht nicht darüber, was sie unterwegs erlebt hat, es mögen traumatische Erfahrungen gewesen sein. Aber sie sagt leise, wie schwer der Verlust der Heimat für sie wog, der Abschied von den Stätten der behüteten Kindheit und der Privatschule. Sie spricht von den Anfeindungen als Kurdin, von der immer schwieriger und gefährlicher werdenden Situation der Familie. „Es ging nicht, wir konnten nicht bleiben, wir mussten weg“. Ruhew lebte beim Vater und bei der Steifmutter. Als er starb, zog sie zur Mutter: „Wir hatten eine Patchworkfamilie mit Geschwistern.“
Orient und Okzident verbinden
Der Zufall führte sie nach Neuenbürg - und hier wurde die begabte 13- Jährige in der Hauptschule eingeschult. Der schnelle Weg zum Gymnasium gelang ob der ihr eigenen Willenskraft - und auch der Begabungen, die das junge Mädchen nicht nur im sprachlichen Bereich aufzuweisen hatte. „Es war schwer am Anfang“, erinnert sie sich, aber auch daran: Als ich mit der Musik angefangen hatte, fühlte ich mich zuhause“. Der Blick heute ist auf die Zukunft gerichtet, ohne das, was war, zu vergessen. Musik möchte sie machen - wenn möglich so, „dass sich Orientalisches und Europäisches verbinden lassen“.
Der 15-jährige Wladyslaw Prewszynski ist einer der begabtesten Schüler von Musikschulleiter und Pianist Christian Knebel. Foto: Moritz
Ruhew und Wladyslaw
Hinweis:
Der Lions Club Bad Wildbad sponsert die musikalische Ausbildung von Ruhew Khalil und Wladyslaw Prewszynski an der Jugendmusikschule Neuenbürg.
Lions Club Bad Wildbad - Multidistrikt: 111, Distrikt: Süd-Nord, Region: II, Zone: 5
Jumelage mit dem französischen Partnerclub Pompey Liverdun seit 1984